Menü open menu close menu

Schuldbefreiende Drittschuldnerzahlung im Insolvenzeröffnungsverfahren i.S.d. §§ 24 Abs. 1, 82 InsO führen nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO

Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt und Recht zum Forderungseinzug (sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter) bewirkt sowohl bei Ist-Besteuerung als auch bei Soll-Besteuerung eine erste Berichtigung der Umsatzsteuer i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, die dem vorinsolvenzlichen Bereich i.S.d. § 38 InsO zuzuordnen ist. Die anschließende Entgeltvereinnahmung im vorläufigen Insolvenzverfahren durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den Insolvenzschuldner hat eine zweite Berichtigung der Umsatzsteuer zur Folge, die unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO dem Massebereich zuzuordnen ist.

Mit Urteil vom 29.08.2024, Az. V R 17/23 (veröffentlicht am 12.12.2024) hat der BFH entschieden, dass die schuldbefreiende Zahlung eines Entgelts durch den Drittschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren auf das Konto des Insolvenzschuldners ohne Kenntnis der insolvenzrechtlichen Verfügungsbeschränkungen (§§ 24 Abs. 1, 82 InsO) nicht zur Begründung einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO (a.F.) führt.

I. Sachverhalt

Das Insolvenzgericht bestellte Mitte Juni 2016 einen vorläufigen Insolvenzverwalter (= Kläger/Revisionsbeklagter) über das Vermögen des A (Insolvenzschuldner), der als natürliche Person eine gewerbliche Tätigkeit selbständig ausübte. Verfügungen des Insolvenzschuldners waren nur mit Zustimmung des Klägers wirksam. Er wurde ermächtigt, Forderungen des Insolvenzschuldners auf ein Treuhandkonto einzuziehen. Zudem sollte er das Unternehmen des Insolvenzschuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmte, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden.

Der Insolvenzschuldner verfügte über ein Girokonto bei der B-Bank. Auf diesem Konto wurden am 22.06.2016 und 28.06.2016 verschiedene Überweisungen i.H.v. insgesamt 5.414,50 EUR gutgeschrieben. Auftraggeberin der Überweisungsgutschriften war jeweils die C-GmbH als Drittschuldnerin, die im Verwendungszweck Rechnungen benannte, die der Insolvenzschuldner für seine Leistungen an die C-GmbH gestellt hatte.

Den Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung übermittelte der Kläger der B-Bank per Telefax am 28.06.2016 um 08:53 Uhr. Des Weiteren setzte er am selben Tag die C-GmbH per Telefax um 13:32 Uhr darüber in Kenntnis, dass er, der Kläger, zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden sei und mit schuldbefreiender Wirkung nur noch an ihn gezahlt werden könne.

Anfang Juli 2016 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Das zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto der B-Bank noch vorhandene Guthaben zog der Kläger bis auf einen Betrag i.H.v. 900 EUR, der der Unterhaltssicherung des Insolvenzschuldners dienen sollte, zur Insolvenzmasse ein.

Das Finanzamt (=Beklagte/Revisionskläger) erließ gegenüber dem Kläger abweichend von der eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung des Klägers einen Umsatzsteuerjahresbescheid, wobei es als steuerpflichtige Umsätze zum allgemeinen Steuersatz sämtliche o.g. Gutschriften vom 22.6.2016 und 28.6.2016 berücksichtigte und die entsprechende Umsatzsteuer im Rang einer Masseverbindlichkeit festsetzte. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Das FG Hessen gab der Klage mit Urteil vom 13.12.2022 statt. Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO der im Streitjahr geltenden Fassung lägen nicht vor. Die rechtlichen Befugnisse des Klägers reichten nicht aus, den Forderungseinzug durch den Insolvenzschuldner zu verhindern, da das Insolvenzgericht den Drittschuldnern nicht verboten habe, an den Insolvenzschuldner zu zahlen.

II. Entscheidung des BFH

Der BFH hat die seitens des beklagten Finanzamts eingelegte Revision zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung lägen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO, d.h. Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht vor, sodass die seitens des Finanzamts insoweit festgesetzte Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit begründen könne.

Eine Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter scheitere im vorliegenden Fall daran, dass die Zahlung aufgrund anderer insolvenzrechtlicher Regelungen der §§ 24, 82 InsO – ohne dessen Zutun – zu einem Erlöschen der dem Insolvenzschuldner zustehenden Forderung führe.

„Eine Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter liegt insbesondere vor, wenn das Insolvenzgericht Drittschuldnern die Zahlung an den Insolvenzschuldner verbietet, es den vorläufigen Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug ermächtigt und der vorläufige Insolvenzverwalter die dem Insolvenzschuldner zustehenden Gegenleistungen dann – auf einem von ihm eingerichteten Sonderkonto – vereinnahmt. Kommt es wie vorliegend zu keiner Vereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen des ihm durch das Insolvenzgericht eingeräumten Rechts zum Forderungseinzug, ist die Begründung einer Masseverbindlichkeit nur zu bejahen, wenn eine Vereinnahmung im Zusammenhang mit anderweitigen Rechtsbefugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters vorliegt. Hieran fehlt es, wenn die Zahlung nicht aufgrund einer Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, sondern aufgrund anderer insolvenzrechtlicher Regelungen – ohne Zutun des vorläufigen Insolvenzverwalters – zu einem Erlöschen der dem Insolvenzschuldner zustehenden Forderung führt.“

Darüber hinaus fehle es aus Sicht des BFH auch an einer Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, da eine Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters für eine bereits nach § 82 InsO wirksame Entgeltentrichtung keine Rechtswirkungen entfalten könne. Das Entgelt für die vom Insolvenzschuldner dem Drittschuldner gegenüber erbrachte Leistung sei daher umsatzsteuerrechtlich abschließend durch den Insolvenzschuldner vereinnahmt.

III. Fazit

Im Zusammenhang mit der Entgeltvereinnahmung im vorläufigen Insolvenzverfahren, sollte stets im Einzelfall geprüft werden, inwieweit diese von den rechtlichen Befugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgelöst wird und ob es sich bei der daraus resultierenden Umsatzsteuer um eine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO oder um eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO handelt.

Ansprechpartner:

Dirk Pfützner, Steuerberater

Mariana Kaiser, Rechtsanwältin