Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Zwangsversteigerung eines Grundstücks, Urteil des BFH vom 12.11.2024
Der BFH hat mit Urteil vom 12.11.2024, Az. IX R 6/24 (veröffentlicht am 27.02.2025) unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz, FG Münster vom 25.01.2024, Az. 10 K 1934/21 im Zusammenhang mit der Veräußerung eines dem Privatvermögen zuzuordnenden Grundstücks im Weg der Zwangsversteigerung folgendes entschieden:
„Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Grundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und durch die Zwangsversteigerung ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn i.S.d. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG (d.h. Veräußerung innerhalb des 10-jährigen Spekulationszeitraums) erzielt, ist die auf den Gewinn entfallende Einkommensteuer eine „in anderer Weise“ durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. Die Massezugehörigkeit des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands sowie die fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter führen dazu, dass eine Masseverbindlichkeit vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn das Grundstück bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwangsvollstreckungsrechtlich beschlagnahmt war.“
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Insolvenzschuldner war seit 2012 Eigentümer einer Eigentumswohnung. Aufgrund von Steuerrückständen beantragte das Finanzamt (=Beklagter) aus einer auf dem Grundstück eingetragenen Zwangshypothek die Zwangsversteigerung. Das Zwangsversteigerungsverfahren wurde am 14.12.2018 eingeleitet. Im Mai 2020 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und im November 2020 die Eigentumswohnung im Zwangsversteigerungsverfahren veräußert. Die auf den hierdurch entstandenen Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer setzte das Finanzamt gegenüber dem Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit fest.
Das FG Münster hatte in der Vorinstanz dem Kläger (= Insolvenzverwalter) recht gegeben und die Einkommensteuer nicht als Masseverbindlichkeit eingestuft. In der Urteilsbegründung bezieht sich das Gericht im Wesentlichen auf zwei frühere Entscheidungen des BFH, denen unterschiedliche Zeitpunkte der Grundstücksbeschlagnahme zu Grunde lagen.
- Beschlagnahme vor Verfahrenseröffnung (BFH, Urteil vom 14.02.1978, VIII R 28/73)
- Beschlagnahme nach Verfahrenseröffnung (BFH mit Urteil vom 07.07.2020, X R 13/19)
Soweit die Zwangsversteigerung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger bereits vor der Eröffnung des Konkursverfahrens eingeleitet und das Grundstück beschlagnahmt wird, gehöre die Einkommensteuer, die auf den später während des Konkursverfahrens entstandenen Veräußerungsgewinn anfällt, nach Auffassung des BFH nicht zu den Massenverbindlichkeiten.
Für den Fall, dass hinsichtlich eines zur Insolvenzmasse gehörenden und mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks die Zwangsversteigerung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger nach Insolvenzeröffnung eingeleitet und in der Folge versteigert wird, sei die auf den Veräußerungsgewinn anfallende Einkommensteuer nach Ansicht des BFH als Massenverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO einzuordnen. Diese wäre mangels Freigabe des Grundstücks aus der Masse eine „in anderer Weise“ durch die Verwaltung bzw. Verwertung begründete Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO.
Urteilsbegründung FG Münster und BFH
Nach Ansicht des FG Münster sei in Abgrenzung zum Urteil des BFH vom 07.07.2020 - im o.g. Streitfall das Zwangsversteigerungsverfahren bereits vor Insolvenzeröffnung eingeleitet und die Beschlagnahme angeordnet worden, sodass eine freihändige Veräußerung durch den Insolvenzverwalter nicht mehr hätte erfolgen können. Dementsprechend könne die auf den Veräußerungsgewinn anfallende Einkommensteuer nicht als eine „in anderer Weise“ durch die Verwertung begründete Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO angesehen werden.
Dem stellt sich der BFH entgegen und führt in seiner Urteilsbegründung an, dass die Massezugehörigkeit der mit dem Absonderungsrecht belasteten Eigentumswohnung sowie die fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter dazu führe, dass hinsichtlich der entstandenen Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit vorliege. Sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO seien von den Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) abzugrenzen. Die Abgrenzung zwischen Masseschulden und Insolvenzforderungen richte sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Entscheidend sei dabei, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet ist. Dies richte sich allein nach steuerlichen Grundsätzen. Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs komme es deshalb darauf an, ob der einzelne unselbständige Besteuerungstatbestand vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend sei danach, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist. Da die Veräußerung der Eigentumswohnung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte und damit (erst) zu diesem Zeitpunkt alle Tatbestandsvoraussetzungen des Besteuerungstatbestands des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfüllt worden seien, handle es sich nach Auffassung des BFH um eine Masseverbindlichkeit und nicht um eine Insolvenzforderung.
Praxisempfehlung
Bei wertausschöpfend belasteten Immobilien im Zwangsversteigerungsverfahren sollten unabhängig vom Zeitpunkt der Beschlagnahme die steuerlichen Risiken sowie eine mögliche Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag geprüft werden.
Ansprechpartner:
Linda Berger, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht
Mariana Kaiser, Rechtsanwältin
